Geburtenziffer
Geburtenziffer

Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BIB) hat am Freitag die Broschüre „(Keine) Lust auf Kinder?“ (PDF) veröffentlicht und damit für einige Schlagzeilen gesorgt. Tenor vieler Artikel zu der BIB-Veröffentlichung, die auf die Suche nach dem Grund der niedrigen Fertilität in Deutschland geht, ist ein eher negatives Bild vom Unmut der Bevölkerung Kinder zu kriegen und der Ohnmacht der Politik, ihnen das Kinderkriegen doch schmackhaft zu machen.

Spiegel Online schreibt z.B.:

Viele Frauen – besonders in Westdeutschland – werden demnach noch immer von alten Rollenbildern geleitet. Sie haben die Vorstellung, dass sie keine guten Mütter sind, wenn sie ihr Kind in fremde Hände geben. Vor allem Hochqualifizierte lassen es dann gleich ganz bleiben mit dem Nachwuchs.

Die Zeit bedient sich des gern genommenen Zitats aus der Broschüre:

Bild der „guten Mutter“ ist Mitgrund für niedrige Geburtenrate

Und unter dem Titel „Geld macht keine Kinder“ versucht die Süddeutsche sich in der Opposition zur Familienpolitik der letzten Jahre:

Nun können die Politiker in der Studie lesen: Geld allein macht nicht glücklich – und auch keine Kinder.

Schade ist dabei, dass die schnellen und oberflächlichen Analysen dieser und anderer Autoren wohl im breiten Publikum nicht eine intensivere Beschäftigung mit der BIB-Veröffentlichung und deren Zahlen nach sich ziehen werden. Dabei versucht sich die Broschüre nicht nur in Schwarzmalerei:

Im breiten internationalen Vergleich lässt sich zeigen, dass das Zusammenspiel familienpolitischer Maßnahmen langfristig einer der zentralen Faktoren der Fertilitätsunterschiede in den Industrieländern ist – wohlgemerkt: neben ökonomischen und kulturellen Faktoren. Positive Effekte durch politische Rahmenbedingungen setzen dabei eine ganzheitliche, widerspruchsfreie und strategisch ausgerichtete Familienpolitik voraus, die infrastrukturelle, zeitpolitische, monetäre und gleichstellungsorientierte Elemente sinnvoll verbindet. (S.54)

Es gibt also noch Hoffnung, wenn Familienpolitik langfristig und mit vielen unterschiedlichen und zielgerichteten Maßnahmen Priorität genießt. Die 55 Seiten der PDF bieten aber auch neben dem knappen Fazit eine Menge Lesestoff und Diskussionsanreize. Außerdem wird bei der Lektüre klar, dass „Familienpolitik“ weitaus vielfältiger sein muss, als in der politischen und medialen Diskussion behauptet. Auf jeden Fall lesenswert vor der nächsten Diskussion um Betreuungsgeld, Ehegatten-/Familiensplitting, KiTa-Ausbau etc. Oder wie es BIB-Direktor Norbert F. Schneider formuliert:

Ein vertieftes Verständnis der Vielschichtigkeit des generativen Verhaltens ist eine wichtige Grundlage für die Weiterentwicklung familienpolitischen Handelns. (S.4)

Die Grafik oben zeigt übrigens, dass das vor ein paar Jahren ausgerufene Aussterben Deutschlands kein neues Phänomen ist: Seit Mitte der 1970er-Jahre verharrt die Geburtenziffer in Westdeutschland relativ stabil zwischen 1,45 und 1,3. Die Grafik stammt nicht aus der BIB-Veröffentlichung, sondern aus dem bpb-Angebot „Zahlen und Fakten: Die soziale Situation in Deutschland„. In den Kapiteln Bevölkerung, Lebensformen und Haushalte und Familie und Kinder gibt  es dort noch mehr Grafiken zum  Thema – alle unter der CC-Lizenz by-nc-nd.

Und wer noch mehr zum Thema „Familienpolitik“ lesen möchte, den interessiert ja vielleicht auch meine mittlerweile fünf Jahre alte Diplomarbeit zum Thema „Die Familienpolitik der Großen Koalition. Erklärungsversuche für politischen Wandel in einem Politikfeld„.

(Keine) Lust auf Kinder?
Markiert in: